Gehörlosentheater : Künstlerische Stille mit ganz viel Gefühl

Der Einsatz für die emotionsgeladene Szene aus Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ kommt, doch kein Geräusch ist auf der Bühne zu hören. Stattdessen spielen die Darsteller in Stille mit ausdrucksstarken Gesten in vollem Licht und halten stets direkten Augenkontakt mit dem Zuschauer. Denn allein auf die Sichtbarkeit des Ausdrucks kommt es an, wenn Gehörlose für Gehörlose Theater spielen.
„Jeder Darsteller ist in jeder Szene, auch in einem Dialog, dem Publikum zugewandt“, erklärt Peter Feuerbaum, Regisseur des Gehörlosen Theatervereins Dortmund, während er die Probe der Szene begutachtet. „Der Text wird per Gebärdensprache vermittelt, deshalb ist es für das Publikum natürlich entscheidend, dass jede Handbewegung und jede Regung in der Mimik zu sehen ist.“
Neun Gehörlose, sieben davon ohne jeden Sinn für Geräusche, hat der hörende Theaterwissenschaftler zusammengebracht, um sich dem Bühnenklassiker von Shakespeares zu widmen. Seit Oktober 2010 treffen sich Laienschauspieler und Regisseur jedes Wochenende im Dortmunder Zentrum für Gehörlosenkultur. Jeweils fünf Stunden Probe stehen samstags und sonntags mindestens auf dem Programm. „So ein Stück braucht viel Vorbereitung. Der Text muss in Gebärdensprache gesetzt werden, die Szenen müssen so inszeniert sein, dass das Publikum der Handlung folgen kann, ohne dass Geräusche eingesetzt werden“, erklärt Feuerbaum.
Eine Herausforderung, auch im Zusammenspiel des Ensembles. So beginnt die Darbietung der genannten Szene nicht mit einem „Und bitte“ aus dem Hintergrund, sondern mit einer auffordernden Handbewegung oder einem angedeuteten Klatschen. Seine Regieanweisungen übermittelt Peter Feuerbaum per Gebärdensprache direkt auf der Bühne, schiebt die Schauspieler – durchaus energisch – hin und her oder spielt selbst vor, was er sich von einer Szene verspricht. Gut gelungene Passagen werden mit einem deutlichen Lächeln prämiert, aber auch hitzige lautlose Diskussionen sind auf der Bühne zu beobachten. „Es ist ein sehr direkter Kontakt, das ist schon anders als mit hörenden Kollegen“, bestätigt Feuerbaum, der sechs Jahre am Staatstheater in Mainz beschäftigt war.
Die künstlerische Qualität schmälert die fehlende Sprache nicht, da ist sich der Regisseur sicher. Im Gegenteil: „Gehörlose Darsteller sind oft besonders ausdrucksstark, weil sie auch im täglichen Leben allein über Mimik und Gestik kommunizieren und Emotionen transportieren“, sagt Peter Feuerbaum. Dass dies beim Publikum, das übrigens meist aus Gehörlosen und Hörenden besteht, ankommt, zeigte schon die erste Inszenierung des Theatervereins im Jahr 2008. Das Stück „Der rote Hut“ war nach der Premiere in Dortmund in Hamm, Recklinghausen, Köln und weiteren Städten in ganz Nordrhein-Westfalen zu sehen. Auch kleinere Einzelveranstaltungen, zum Beispiel zu Weihnachten, kamen beim Publikum an.
So erfolgreich soll es mit dem Sommernachtstraum weitergehen, hofft das Ensemble. Anfragen aus einigen Städten liegen bereits vor, darunter auch neue Kontakte zum Beispiel in Aachen. „Bis zur Premiere kommt aber noch jede Menge Arbeit auf uns zu“, sagt Peter Feuerbaum und stürmt auf die Bühne, um eine Korrektur vorzunehmen. „Ein Hänger im Text“, erklärt der Regisseur hinterher. „So etwas kommt natürlich auch in der Gebärdensprache vor.“ Generell gäbe es – abgesehen von der Stille – nicht viele Unterschiede zum „gehörten“ Theater. In beiden Fällen sei das Gefühl, das am Ende beim Zuschauer ankommt, das Wichtigste. „Deshalb kann ich auch Hörende nur dazu ermutigen, einmal zu einer unserer Vorstellungen zu kommen“, sagt Peter Feuerbaum. Denn Gefühl sei bei den Vorstellungen des Gehörlosen Theatervereins Dortmund garantiert, versichert der Regisseur. Zu Recht, wie schon bei der Probe mehr als deutlich wird.
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